"Fahnden dort, wo wir Handlungsbedarf sehen" frisch aus dem TV
Von unserem Redakteur Heribert Waschbüsch
Bereits 1,4 Millionen Euro haben zehn luxemburgische Firmen an das Trierer Finanzamt gezahlt, um Steuerforderungen gegen ihre Mitarbeiter abzulösen. Die Grenzgängerproblematik, die deutsche Pendler trifft, wenn sie nicht nur in Luxemburg, sondern auch in Deutschland eingesetzt werden, besorgt viele Menschen. Unter den 28 000 Grenzgängern aus der Region Trier geht derzeit die Sorge um, wie sie sich gegenüber dem deutschen Fiskus verhalten müssen. Mit dem Chef des Finanzamtes Trier sprach TV-Redakteur Heribert Waschbüsch.
Viele Pendler haben momentan das Gefühl, dass das Finanzamt eine Jagd auf sie veranstaltet. Wie sehen Sie diesen Vorwurf?
Kentenich: Wir stellen beinahe täglich fest, dass die Versteuerung des Arbeitslohns bei Grenzpendlern in der Vergangenheit oft falsch gelaufen ist. Die Grenzpendler der Region wissen spätestens jetzt um die Problematik. An sich müssten sie die Lage in ihrem persönlichen Fall selbst mit ihrem Finanzamt oder mit Hilfe eines Steuerberaters oder Lohnsteuerhilfevereins aufklären. Viele tun das, andere nicht. Es ist dann unsere Aufgabe als Steuerverwaltung, den Sachverhalt aufzuklären. Nichts anderes tun wir zurzeit. Das kann im Übrigen auch jeder Bürger von uns verlangen, der treu und brav seine Steuern zahlt.
Das deutsch-luxemburgische Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ist inzwischen weit über 50 Jahre alt. Wird es der heutigen Arbeitswelt noch gerecht?
Kentenich: Zur Klarstellung: In allen EU-Staaten und darüber hinaus gilt die unbeschränkte Steuerpflicht im Wohnsitzstaat, die grundsätzlich das gesamte Welteinkommen erfasst. Das ist die Regel. Das DBA enthält, wie andere DBAs auch, eine Ausnahmeregelung für den Fall, dass der in Deutschland wohnende Arbeitnehmer in Luxemburg arbeitet. Nach diesem Tätigkeitsprinzip wird der in Luxemburg erzielte Arbeitslohn von der deutschen Besteuerung freigestellt. Selbstverständlich bleibt es beim deutschen Besteuerungsrecht für Tätigkeiten in Deutschland, selbst wenn der Arbeitgeber seinen Sitz in Luxemburg hat.
Also bleibt alles beim Alten?
Kentenich: Am Welteinkommens- und am Tätigkeitsprinzip wird sich nach meiner Einschätzung EU-weit nichts ändern. Was sich aber im digitalen Zeitalter ändern könnte, wäre die Praxis der Einziehung der Steuer. In einer funktionierenden EU könnten die Arbeitgeber verpflichtet werden, den Steueranteil direkt an das Land abzuführen, dem nach dem DBA das Besteuerungsrecht zusteht. Unabhängig davon, wo sie als Arbeitgeber ihren Sitz haben. Möglich wäre auch, dass die EU-Staaten sich verpflichten, Informationen zu Lohneinkünften und Renten automatisch untereinander auszutauschen. Hier sehe ich die Zukunft.
Für manchen Pendler grenzt es an Willkür, ob das Finanzamt nun die bei der Steuererklärung sieben oder sogar zehn Jahre lang zurückgeht. Welche Zeiten gelten?
Kentenich: Die Anzahl der Jahre, für die die Besteuerung geändert werden kann, ergibt sich aus dem Gesetz. Hat der Bürger für die vergangenen Jahre eine Steuererklärung abgegeben, können rückwirkend vier Jahre geändert werden. Hatte er noch keine Steuererklärungen abgegeben, sind es sieben Jahre. Für den Fall, dass eine vorsätzliche Verkürzung der Steuer vorliegt, also Steuerhinterziehung bewiesen werden kann, müssen wir zehn oder 13 Jahre rückwirkend ändern. Wie gesagt, diese Zeiträume ergeben sich aus dem Gesetz, von Willkür kann man daher nicht sprechen.
Grenzpendler fragen sich, wieso das Finanzamt sie in die Pflicht nimmt und nicht die Unternehmen?
Kentenich: Schuldner der Lohnsteuer ist immer der Arbeitnehmer, nicht der Arbeitgeber. Schon aus diesem Grund müssen wir uns an den Arbeitnehmer halten. Im Übrigen hat ein in Luxemburg ansässiger Arbeitgeber keinerlei Verpflichtungen gegenüber dem deutschen Fiskus. Daher kommt auch keine Haftung des Arbeitgebers in Betracht.
Es gibt Kritik am Vorgehen einzelner großer Unternehmen, die die Steuerlast für ihre Mitarbeiter pauschal übernehmen. Die Mitarbeiter könnten so in Einzelfällen schlechter behandelt werden, als wenn sie ihre Arbeitstage in Deutschland oder einem Drittstaat selbst erklären würden.
Kentenich: Inzwischen haben die ersten Arbeitgeber die Steuerlast ihrer Arbeitnehmer für die Vergangenheit, und das geht nur für die Vergangenheit, übernommen. Wir begrüßen dieses Verfahren, da es für die einzelnen Arbeitnehmer in der Regel finanziell interessant ist und uns auch jede Menge Einzeländerungen erspart. Wer als Arbeitnehmer glaubt, er würde bei Abgabe einer persönlichen Steuererklärung besser fahren, kann das selbstverständlich tun. Kein Arbeitnehmer ist verpflichtet, am pauschalierten Verfahren durch den Arbeitgeber teilzunehmen.
Es gibt einige Banker, die mit großzügigen Abfindungen von ihren Banken in der Finanzkrise auf die Straße gesetzt wurden. Müssen diese Abfindungen versteuert werden?
Kentenich: Der Fall der Abfindung ist bereits gerichtlich geklärt. Bereits in den Jahren 1988 und 1996 hat der Bundesfinanzhof das Besteuerungsrecht dem Wohnortstaat Deutschland zugesprochen. So sagt es daher auch eine Anweisung des Bundesfinanzministeriums aus dem Jahr 2006. Bezüglich der Abfindungen sehen allerdings DBAs mit inzwischen vier anderen Ländern eine Versteuerung im Land des Arbeitgebers vor.
Inzwischen bekommen die Finanzämter Mitteilungen über die Rentenauszahlungen der Bürger. Müssen sich nun nach den Berufskraftfahrern, den Handwerkern und den Bankern auch die Rentner, die aus Luxemburg Altersbezüge beziehen, auf Post vom Finanzamt einstellen?
Kentenich: Auch bei Sozialversicherungsrenten gilt das Wohnortprinzip. Das Besteuerungsrecht hat der Staat, in dem der Rentner wohnt. Anders sieht es bei Renten oder Pensionen aus der öffentlichen Kasse aus. In diesen Fällen gilt das sogenannte Kassenstaatsprinzip, nach dem eine Versteuerung in Luxemburg vorgenommen wird. Ich empfehle daher jedem Betroffenen, genauso wie jedem Bezieher einer deutschen Sozialversicherungsrente, die Versteuerung seiner Rente mit dem Finanzamt oder mit Hilfe eines Steuerberaters oder Lohnsteuerhilfevereins zu klären.
Welche politische Regelung würden Sie sich für die Problematik um die Grenzpendler wünschen?
Kentenich: Grundsätzlich wird kein Staat auf sein Besteuerungsrecht nach dem Wohnortprinzip verzichten. Diese Regelungen sind OECD-Standard. Nach dem DBA mit Luxemburg gilt lediglich eine Ausnahme für Tätigkeiten in Luxemburg. Für diese Tätigkeit hat Luxemburg das Besteuerungsrecht. Die Besteuerung der Grenzpendler kann man nicht isoliert sehen. Beispiel: In Deutschland sind Tausende Rentner verpflichtet, jährlich eine Steuererklärung abzugeben, auch wenn die Steuerlast im Jahr nur 100 Euro beträgt. Der Gesetzgeber hat es abgelehnt, hier Geringfügigkeitsregelungen zu treffen. Soll das für Grenzpendler anders sein? Als vor Jahren die Berufskraftfahrer überprüft wurden, kam es nur zu Vereinfachungen, was die Aufteilung der täglichen Arbeitszeit für Zwecke der Besteuerung anging. Soll das jetzt anders sein, weil auch Banker, Unternehmensberater und auch Handwerker betroffen sind? Diese Fragen muss allerdings der Gesetzgeber klären.
Gibt es politischen Druck auf die Finanzämter, die Fahndung zu verstärken?
Kentenich: Nein. Wir setzen in Trier die Steuerfahndung dort ein, wo wir Handlungsbedarf sehen. Das können die Steuerzahler von uns verlangen. Das ist unsere Arbeit.
Zur Person Jürgen Kentenich ist bereits seit dem 1. August 2003 Vorsteher des Finanzamtes Trier. Der Jurist ist in Köln geboren und war zuvor zwölf Jahre bei der Oberfinanzdirektion.infoVeranstaltung