logo site
icon recherche
Forum / Arbeitswelt

"Rentenfrage muss die nächste Regierung klären"  

Profilbild von
Jamou
73 Messages

Offline

7 Jahren  ago  

Hallo zusammen, eben habe ich den Artikel hier gelesen: http://www.lessentiel.lu/de/luxemburg/story/Rentenfrage-muss-die-naechste-Regierung-klaeren-23315903. Ich denke, dass könnte für die Grenzgaenger spannend werden (und evtl. nicht nur für die). Viele Grüße Jamou


Profilbild von
Kurtis
229 Messages

Offline

7 Jahren  ago  

Betrifft ALLE ...wenn auch schon zwei Jahre alt:

https://www.welt.de/wirtschaft/article153774064/So-schlimm-steht-es-wirklich-um-die-deutsche-Rente.html


Profilbild von
Bradleydut
9 Messages

Offline

7 Jahren  ago  

Beide Artikel enthalten keinerlei neue Informationen. Die Zahlen aus dem L'essentiel-Artikel sind hinlänglich bekannt und gehören in die Gruppe der optimistischen Prognosen. Wirklich kritische Prognosen (die es auch gibt), wonach sämtliche Rücklagen der Rentenkasse schon innerhalb der nächsten 10 Jahre aufgebraucht sein werden, finden erst gar nicht den Weg in die Zeitungen. Es ist auch nichts Neues, dass in der Politik notwendige Einsparmassnahmen auf die nächste Legislaturperiode verschoben werden, denn den meisten Politikern ist es in erster Linie wichtig, bei den nächsten Wahlen gut abzuschneiden bzw. wiedergewählt zu werden und damit ihr eigenes Wohl zu sichern (was mit Kürzungen im Sozialbereich fraglich wäre), erst danach kommt das Wohl des Volkes an die Reihe. Das ist in L nicht anders wie in D (wie z.B. zuletzt beim Verhalten der FPD in den Koalitionsverhandlungen oder auch bei diversen (ehemaligen) Spitzenpolitikern der SPD ganz offenkundig zu sehen war).

Interessant ist vor allem der Vergleich L - D: In D stiegen die Renten im letzten Jahr 3%, in L weniger als 1% ... Dies ist aber auch kein Wunder in Anbetracht der ca. 10 mal so hohen impliziten Staatsverschuldung Luxemburgs gegenüber Deutschland (gemessen am jeweiligen BIP). Also vereinfacht ausgedrückt: die heute nach derzeitiger Gesetzeslage bereits bestehenden Ansprüche auf zukünftige Sozialleistungen wie etwa staatliche Renten sind in L exorbitant höher als in D. Ich hab es ja schon in diversen anderen Threads beschrieben: Der Sache nach ist das luxemburgische Rentensystem ein Schneeballsystem. Es funktioniert solange einigermassen, solange man mehr Beitragszahler als Empfänger hat (wie im Moment). Es wird zur Funktionsfähigkeit implizit eine dauerhafte jährliche Wirtschafts- bzw. Beschäftigungssteigerungsrate von ca. 3-4% im Jahr unterstellt. Und spätestens wenn diese immens hohe Rate eben eine Zeit lang nicht mehr erreicht wird, wird das System in Schieflage geraten. Richtig wäre es, in den guten Zeiten, wie jetzt, harte Reformen durchzusetzen, um dann zu einer tragfähigen nachhaltigen Lösung zu kommen. Stattdessen warten die Politiker mit ernsthaften Reformen vermutlich bis kurz nach Zwölf, um ihre Wiederwahl/Besoldung nicht zu gefährden, nur sind die dann nötigen Einschnitte halt kaum mehr tragbar für die Normalbürger. Das luxemburger Rentensystem steht bei weitem nicht auf einem so soliden Fundament wie das deutsche System. Nicht dass das deutsche System solide wäre (ganz und gar nicht), aber solider als das luxemburgische ist es allemal.


Anonymous
Anonyme

Offline

7 Jahren  ago  

@bust

Vielleicht mag das dt. Rentensystem für dich solider sein. Zum Leben reicht die Rente in Deutschland allerdings in Zukunft noch weniger. Reformen wird es noch viele geben. Also einfach abwarten.


Profilbild von
info
3700 Messages

Offline

7 Jahren  ago  

@ bust

Keine Panik, der Notfallplan ist doch lange bekannt, wenn es eng wird wird das 1/3 der Rentenbeiträge die vom luxemburger Staat kommen in eine lokale Sozialleistung umgewandelt (vergleichbar Cheque Service) und dann bekommen wir nur noch die volle Leistung wenn wir nach Luxemburg ziehen.

Ps. Ich hoffe das jeder am Beispiel von Griechenland mitbekommen hat das man in der EU keine Besitzstandswahrung auf eine gesicherte Rente hat.


Profilbild von
Bradleydut
9 Messages

Offline

7 Jahren  ago  

@ luxi83: ich behaupte gar nicht, dass die deutsche Rente zum Leben ausreicht. Ich sage ja sowieso, dass man vor allem privat vorsorgen sollte. Es geht vielmehr um die Frage, hinter welchem Sozialsystem noch ein wenig mehr Substanz dahinter ist. Mal ein anschauliches Bsp: Man versetze sich ein paar Jahre zurück und betrachte die folgende Auswahl: man hat eine Air-Berlin-Anleihe mit einem Kupon von 8% und Kurs 100% sowie eine Lufthansa-Anleihe mit einem Kupon von 2% und einem Kurs von 100%. Von den 2% Kupon der Lufthansa-Anleihe könnte man nicht leben, von den 8% hingegen sehr gut. Dennoch war im Nachhinein Lufthansa eindeutig Air-Berlin vorzuziehen. Insofern ist mir ein HALBWEGS verlässliches System wie in D (es gibt in Europa natürlich noch wesentlich bessere Systeme als in D) lieber als ein System wie in L, wo so ziemlich alles passieren kann.

@ info: das von dir beschriebene Modell entspricht doch in etwa dem, was ich prinzipiell erwarte: wenn die 8% an staatlichem Rentenkassenbeitrag zukünftig wegfallen sollten, dann wird auch das Rentenniveau in Zukunft entsprechend deutlich abfallen (, also um ca. 1/3 weniger) und dann wären wir - gleichen Bruttolohn vorausgesetzt - schon bei einer etwas höheren Rente in D wie in L. Diese lokalen Sozialleistungen sind ja nicht nachhaltig, sondern damit müssten dann die ohnehin immer grösser werdenden Löcher im Staatshaushalt gestopft werden (allen voran die Zahlungen an Arbeitslose etc.). Dieser Notfallplan verhindert einen harten Staatsbankrott, ist aber keine nachhaltige Lösung des Renten-/Sozialsystemproblems. Er wäre sicher ein Schritt in die dringend nötige Richtung, das massiv übersubventionierte Sozialsystem zu entsubventionieren. Um zu einer echten Nachhaltigkeit zu kommen, sollten jedoch auch noch Arbeitslosenversicherungsbeiträge von den AN erhoben werden sowie auch höhere Krankenkassenbeiträge bzw. das dortige Leistungsniveau abgesenkt werden (denn grade bei den kostspieligen Behandlungen übernimmt die lux. KK deutlich mehr als die deutsche). Allerdings wäre dann in etwa die deutsche Systemstruktur erreicht. Aber all das lässt sich politisch nur schwerlich umsetzen, weil kein Politiker als der Depp dastehen will, der seinem Wählerklientel Geld wegnimmt.

Nachfolgende grobe Ueberschlagsrechnung zeigt, dass das lux. Rentensystem weit weniger solide als das deutsche ist: In L werden 24% des Bruttogehalts an Rentenbeiträgen abgeführt (jeweils 8% AN, AG und Staat). In D werden insgesamt knapp 19% abgeführt (AN + AG). Bei gleichem Bruttogehalt werden also in L etwa 26% mehr an Rentenkassenbeiträgen abgeführt als in D. In L ist das durchschnittliche Bruttogehalt etwa 25% höher als in D (vgl. z.B. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/183571/umfrage/bruttomonatsverdienst-in-der-eu/) (4250 € vs 3380 €) D.h. in L werden im Schnitt - grosszügig aufgerundet - insgesamt etwa 60% mehr Rentenbeiträge abgeführt als in D. Wenn nun die erwirtschafteten Renditen gleich sind, die Sterbeverteilung gleich ist und die Rentenbeitragsdauer bzw. -eintritt gleich ist, dann müsste also in L das durchschnittliche Rentenniveau in etwa diese 60% höher sein als in D. Tatsächlich ist jedoch das durchschnittliche Rentenniveau in L ca. doppelt so hoch wie in D (vgl. https://de.statista.com/themen/154/rente/ sowie https://www.volksfreund.de/nachrichten/themen-des-tages/streit-um-luxemburger-renten-trotz-2700-euro-im-monat_aid-6359927, wobei letztere Quelle mit Vorsicht zu geniessen ist) Und das, obwohl die Leute in L früher in Rente gehen/gegangen sind als in D ! Dies ist vollkommen absurd !!!

Diese Diskrepanz von ca. 40% zeigt, dass in L (über Jahrzehnte hinweg) das Verhältnis von Auszahlung zu Einzahlung pro Person weitaus höher war als in D. Oder ganz plump ausgedrückt: es wurden in L schlicht viel zu hohe Renten bezahlt. Dies hat eben deshalb funktioniert, weil in L über die letzten Jahrzehnte ein deutlich höheres Wachstum als in D vorherrschte und man eben immer mehr neue Beitragszahler generieren konnte (Schneeballsystemeffekt). Diese riesige Menge an Neuankömmlingen in L in den boomenden 80er und 90er- Jahren waren meist jung und sind grösstenteils heute noch gar nicht in Rente. Die sorgen also nach wie vor für eine pralle Rentenkasse, nur wenn die dann eben bald in Rente gehen, dreht sich der Spiess um, und man bräuchte wieder so einen Wirtschaftsboom wie Ende des letztes Jahrhunderts mit dem Finanzsektor. Stattdessen flaut jedoch die wirtschaftliche Entwicklung in L immer mehr ab (sie wächst mehr als in D, aber eben bei weitem nicht mehr so wie in den 80er- und 90er Jahren, so dass eben das erforderliche Wachstum nicht mehr erreicht wird, um das gegenwärtige Rentenniveau aufrecht zu erhalten. Der lux. Staat muss nun diese immense Rentensubventionierung (direkt durch die 8% Beitragszuzahlung; indirekt durch das zu hohe Rentenniveau) abbauen, was natürlich nicht so ohne weiteres geht. Der Staat probiert jetzt ein wenig von seinen Rentenverpflichtungen wegzuinflationieren, indem er z.B. die Renten nicht so stark erhöht wie in D, aber so schnell kommt er trotzdem nicht von seinen immens hohen Verpflichtungen runter. Der Punkt ist: Der Transformationsprozess, der dem demografischen Wandel Rechnung trägt, ist in D schon zu einem guten Teil vollzogen worden (es wird auch da noch weitere Einschnitte geben), in L steht dies jedoch praktisch noch komplett bevor ! Und es ist ja auch nicht nur die Rente, sondern die Sozialsysteme im allgemeinen, die in L so extrem teuer für den Staat sind. Es hat schon seinen Grund, warum man in D weniger netto hat: U.a. weil dort (im Gegensatz zu L) der AN für die Arbeitslosenversicherung einzahlt (in L übernimmt das komplett der Staat). In einem wirtschaftlichen Abschwungsszenario trifft das eben den lux Staat ganz besonders hart, (was noch verstärkt wird, wenn L nach dem Willen der EU auch den Grenzgängern Arbeitslosengeld zahlen wird), während D aufgrund seiner Sozialsystemsstruktur dagegen besser gerüstet ist und bei weitem nicht so schnell in Schieflage geraten würde wie L. Auch wird bei Krankenbehandlungen, insb. bei den besonders teuren (z.B. langwierige stationäre Aufenthalte) von der lux. Kasse deutlich mehr übernommen als von der deutschen und das bei deutlich niedrigeren Beitragssätzen in L als in D. Und wie war der Trend der letzten 5 Jahre ? In D ging die Arbeitslosenquote deutlich zurück, es kam vom anfänglichen Minus zu Staatshaushaltsüberschüssen; in L stieg die Arbeitslosenquote an, es kam von anfänglichen Ueberschüssen kontinuierlich zu einem Minus im Staatshaushalt.

Die Gewinner der lux. Sozialsysteme sind diejenigen, die heute schon Leistungen empfangen (also z.B. die Rentner), und die Verlierer werden diejenigen sein, die heute im Wesentlichen nur Beiträge bezahlen (also z.B. Berufsanfänger) .

Um nochmal auf die Eingangsfrage des Threads zurückzukommen: Ich kann zwar auch nicht vorhersehen, wie sich die lux. Rente entwickeln wird, aber dass das System marode ist, steht ausser Frage. Die (freiwillige) staatliche luxemburger Rente bleibt ein High-Risk-Investment. Ich will da auch niemanden vom Zocken abhalten, aber man muss sich eben über die enormen Risiken bewusst sein. Ich wünschte mir sehr (allein schon aus Eigeninteresse), dass man sich um die lux. Rente keine Sorgen machen muss, aber das würde nicht die Realität widerspiegeln, mit der man sich nunmal leider auseinandersetzen muss.