Die Kontrollen behindern nicht nur die mehr als 52.000 deutschen Grenzgänger täglich die Grenze passieren um in Luxemburg zu Arbeiten. Sie störren auch “emotional” und senden ein falsches Signal, erklärt Wolfram Leibe.

Sie haben vor kurzem zusammen mit den anderen Bürgermeistern der Quattropole einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz geschickt, um ein Ende der Grenzkontrollen zu fordern. Werden die Grenzkontrollen bei Ihnen im Stadtrat diskutiert, oder sind die Kontrollen etwas, das sie so hinnehmen müssen?

Wolfram Leibe: “Es ist kein Thema für den Stadtrat. Dieser kann nur Themen der kommunalen Selbstverwaltung diskutieren und nicht allgemeine politische Themen. Deshalb belegen wir als Oberbürgermeister und Bürgermeister dieses Thema selbstverständlich.”

Wie ist Ihre Einschätzung der Situation mit den derzeitigen Grenzkontrollen?

“Wenn Sie erlauben, werde ich ausholen. Ich habe während Corona schon gesagt, dass es völlig unsinnig ist, dass die Grenzen geschlossen werden, weil Viren und Bakterien sich durch Grenzschließungen nicht aufhalten lassen. Ganz im Gegenteil. Da standen junge deutsche Polizisten und haben die Menschen gezwungen, das Fenster herunterzudrehen, haben den Kopf in das Auto gehalten und haben sich damit noch gefährdet. Deshalb habe ich da deutlich meine Meinung gesagt. Zur Europameisterschaft haben wir vier Oberbürgermeister gesagt, dass es aus unserer Sicht nicht hilfreich ist, aber in dem Gedanken, uns vor terroristischen Angriffen zu schützen, haben wir es ertragen, aber nicht akzeptiert.”

“Jetzt haben wir 6 Monate diese Grenzkontrollen. Sechs Monate sind eine verdammt lange Zeit. Deshalb haben wir eindeutig gesagt, es geht nicht gegen unsere Polizisten und Polizistinnen, die dort stehen. Aber Europa definiert sich über offene Grenzen. Meine Tochter ist 24 und sie definiert Europa darüber, dass man einfach über die Grenzen fahren kann und wir dürfen dieses Kerngebiet von Europa nicht aufgeben. Das ist die eindeutige Position von mir und den anderen drei Bürgermeistern.”

Welchen Einfluss haben die Grenzkontrollen auf das tägliche Leben der Trierer und der Umgebung?

“Es stört uns in unserem Leben. Wir haben gelernt, dass Grenzen nicht mehr existieren. Menschen fahren nach Luxemburg zur Kultur. Luxemburger fahren nach Trier zur Kultur und zum Einkaufen. Das stört tatsächlich, aber auch emotional. Da sind wieder alte Wunden aufgerissen worden – der große Nachbar Deutschland dominiert die Nachbarn. Die große Gefahr ist, dass beispielsweise Frankreich irgendwann auch so agieren wird, und das geht nicht. Deshalb eine deutliche Warnung an die deutsche Bundesregierung: Bitte hört damit auf, trotz aller Sicherheitsinteressen! und das Signal Richtung Frankreich: Denkt gar nicht darüber nach!”

Die Begründung ist dieses Mal nicht ein Virus, sondern es sind dies die irreguläre Migration und Terroristen. Ist das nicht eine konkretere Gefahr, die durch Grenzkontrollen gestoppt werden könnte?

“Welcher konkrete Fall in Deutschland wurde durch neu eingereiste Asylbewerber und Migranten ausgelöst? Die, die das schreckliche Leid verursacht haben, waren alle schon da.”

Glauben Sie, dass diese Begründungen, die offiziell auf der Internetseite des Bundesministeriums für Inneres stehen, vorgeschoben sind oder dass es eher um Imagepflege geht und darum, Wählerinnen und Wähler zu gewinnen?

“Ich sage einmal ganz diplomatisch: Das will gar nicht ausschließen. Wichtig ist aber, dass man, wenn man diese Grenzkontrollen durchführt, bitteschön parallel dazu evaluiert, ob sie  erfolgreich sind oder nicht.

Die Bürgerinnen und Bürger fragen mich immer wieder, was denn mit den Nebenstrecken ist. Die Kontrollen stehen ja auf der Autobahn. Und sehr pointiert: Kommen Verbrecher immer über die Autobahn, wo doch jeder weiß, dass dort kontrolliert wird?

Wir haben überall offene Grenzen. Eine Bundesregierung, eine Regierung in Luxemburg, eine französische Regierung … muss die Möglichkeit haben, kurzfristig eine solche Entscheidung zu treffen. Aber sie schulden den Bürgerinnen und Bürgern eine Evaluation.”

Ist eine solche Evaluation Ihrer Meinung nach nicht passiert nach den letzten Grenzkontrollen? Nach der EM wurde ein Bericht herausgegeben, der zum Beispiel sagte, wie viele Haftbefehle vollstreckt wurden.

“Wenn sie überlegen, wie viele Grenzübertritte es gibt und die Zahl der Menschen, die zurückgewiesen wurden, damit ins Verhältnis setzen, dann ist das minimal. Aber ich kann die polizeitaktische Vorgehensweise natürlich nicht beurteilen. Dazu fehlen mir Hintergrundinformationen. Ich kann nur immer wieder sagen, dass das Problem, dass Menschen aus dem Ausland einreisen, aus meiner Sicht damit nicht zu lösen ist.”

Ist es für Sie überraschend, dass gerade eine SPD-geführte Regierung so vorgeht?

“Nein. Innenminister haben alle eine besondere Rolle, egal welche Parteizugehörigkeit sie haben. Was ich aber positiv anmerken will, ist, dass Nancy Faeser und Léon Gloden zumindest miteinander telefonieren und ihre Erfahrung austauschen, und das ist für mich eine gute Geschichte, dass so etwas auf persönlicher Ebene möglich ist. Das war mit dem früheren Innenminister einer anderen Partei [Horst Seehofer a.d.Red.] zu Coronazeiten nicht möglich.”

Haben Sie das Gefühl, dass Trier sicherer geworden ist?

“Wir haben eine der niedrigsten Kriminalitätsraten in ganz Deutschland. Wir haben eine der höchsten Aufklärungsquoten aller Großstädte in Deutschland. Ich habe gefühlt nicht noch bessere Zahlen erlebt.”

Sie haben bereits angedeutet, dass sie Folgen für den europäischen Zusammenhalt sehen. Welche Gefahren sehen sie konkret? Wohin könnte dies führen?

“Das Grundproblem ist, Dublin II nicht funktioniert. Die Idee war, dass die umliegenden Länder Flüchtlinge/Asylbewerber in einer adäquaten Form kontrollieren und sie nicht einfach weiterreisen. Es muss aber jedem klar sein, dass Italien,  Spanien und die anderen Länder das einfach nicht mehr hinkriegen. Meiner Ansicht nach muss auf EU-Ebene darüber nachgedacht werden, das System zu überarbeiten.

Der Reflex, dass Deutschland als eines der ersten Länder sagt, wir müssten national-rechtlich vorgehen (innerhalb des europäischen Rechtsrahmens maximal 6 Monate) – dabei geht es auch um die Handlungsmacht und die Entscheidungsfähigkeit der EU insgesamt. Ich bleibe bei meiner Meinung, dass die offenen Grenzen in Europa der größte Nutzen sind, den wir haben. Europa ist für viele Bürgerinnen und Bürger sehr unkonkret. Aber die offenen Grenzen sind etwas Konkretes.”

Trier ist eine sehr internationale Stadt…

“Wir profitieren gegenseitig voneinander. Die Grenzkontrollen betreffen nicht nur die Region Trier, sondern auch das Saarland mit der Grenze zu Frankreich und auch Nordrhein-Westfalen mit seiner Grenze zu den Niederlanden.

Städte wie Aachen oder Münster profitieren sehr von den Niederlanden und haben einen ganz intensiven Austausch. Es gibt einen gemeinsamen Arbeitsmarkt und viele Deutsche wohnen in den Niederlanden und Niederländer wohnen auf deutschem Gebiet.

Manche, die in der Mitte eines großen Landes wie Deutschland leben, verstehen gar nicht, welche Probleme und welche Chancen wir im Grenzbereich haben. Meine Rolle und die Rolle des OB aus Saarbrücken sind es, in den Gremien immer wieder zu erklären, warum wir im Vergleich zu Binnenländern andere Positionen vertreten.”

 

Kein vorzeitiges Ende der Kontrollen in Sicht

Dass die Grenzkontrollen frühzeitig beendet werden, glaubt der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe nicht. Dafür habe sich die Bundesregierung zu sehr festgelegt. Die Grenzkontrollen dürften aber nicht zur “Dauereinrichtung” werden. “Dieses Warnsignal muss aus der deutschen Grenzregion kommen, aber auch aus Luxemburg”, so der OB aus Trier.

 

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