Schüler kämpfen heute immer öfter mit Angst und Stress. Eine Beobachtung, die auch Nathalie Keipes teilt. Sie ist die Direktorin des psychosozialen Begleitdienstes für Schüler (CePAS). Seit dem Ende der COVID-Pandemie sind Angstzustände der Hauptgrund geworden, wegen dem, Schüler und Schülerinnen die psychologischen Dienste in den Schulen aufsuchen.

Auch wissenschaftliche Studien belegen diesen Trend. Unter anderem eine Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation, die regelmäßig das Wohlergehen von Schülern betrachtet, hat festgestellt, dass die Ängste der Schüler zunehmen.

Wenn es so weit geht, dass ein Schüler spezifisch Angst davor hat, zur Schule zu gehen, dann ist oft die Rede von einer Schulphobie. “Solche Schüler müssten ernst genommen werden”, sagt Nathalie Keipes. Es sei eben nicht so, dass die Schüler bloß faul sind und sich vor dem Unterricht drücken wollen.

“Wenn ein Schüler wiederholt nicht zur Schule gehen will, dann kann das mehrere Ursachen haben”, erklärt sie – und es muss nicht immer an der Schule liegen. Es kommt vor, erklärt Keipes, dass Kinder nicht zur Schule gehen wollen, weil sie in der Familie Gewalt erleben und sich verpflichtet fühlen, auf ihre Geschwister oder ein Elternteil aufzupassen. Das müsse dem Schüler selbst nicht unbedingt bewusst sein, erklärt Keipes.

Andererseits kann es vorkommen, dass Schüler sich in der Schule nicht wohlfühlen. Entweder weil sie mit dem Schulstoff Probleme haben, oder aber weil sie sozial ausgegrenzt werden, ein geringes Selbstwertgefühl haben oder gar Opfer von Mobbing geworden sind. Wenn dann die Eltern nicht die notwendige Unterstützung (z.B. Nachhilfestunden geben) anbieten oder anbieten können, stehen die Schüler vor einer großen Herausforderung, die dazu führen kann, dass sie nicht zur Schule gehen wollen.

“Das heißt aber nicht, dass jeder Schüler, dessen Eltern berufstätig sind und nicht mit ihm lernen können, automatisch eine Schulphobie entwickelt”, so Nathalie Keipes. Dabei spielten viele Faktoren eine Rolle, z.B. welche sprachlichen Schwierigkeiten der Schüler hat oder welche Schwierigkeiten er in den einzelnen Fächern hat. Wenn die falschen Faktoren zusammen kommen, dann kann der Schüler eine Schulphobie entwickeln.

 

Die Schulphobie

Unter einer Schulphobie wird eine starke Angst vor der Schule bezeichnet. Ihre Symptome können auch umfassen: körperliche Symptome wie Schweißausbrüche oder Schwindel, Schlafstörungen, emotionale Instabilität und bei kleineren Kindern Trennungsangst von den Eltern und Verwandten. Die Schulphobie kommt nicht in medizinischen Klassifikationen wie dem DSM-5 oder CIM-10 vor. Ihre Symptome werden u.a. den generalisierten Angststörungen, der Depression, sozialen Angststörungen zugerechnet.

Aber wie hat COVID dafür gesorgt, dass junge Leute heute mehr Angst haben? “Durch die Isolation waren die jungen Menschen von ihren sozialen Kontakten abgeschnitten”, erklärt Keipes. Die ganze Gesellschaft war einem großen Stress ausgesetzt. Selbst als die Schulen ihre Tore wieder öffneten, war das mit viel Unsicherheit verbunden. “Besonders die mentale Gesundheit von jungen Menschen, die sowieso schon verletzlicher waren, hat gelitten.” Sie nennt COVID einen “Beschleuniger“.

“Wir haben generell eine Generation, die weniger stressresistent ist”, sagt Keipes. Einen Grund sieht sie in der Erziehung, bei der Kinder vielleicht zu sehr behütet werden. Einen anderen Grund sieht sie in der Smartphone-Nutzung. Durch soziale Medien entstünde bei jungen Leuten ein Druck, sich ständig zu vergleichen und Likes zu kriegen. “Solche Phänomene beeinflussen einen generalisierten Stress”. Ein neues Phänomen sei Eco-Anxiety – die Angst davor, durch die Zerstörung der Umwelt keine Zukunft mehr zu haben.

Generation nicht schlechtreden

Die  CePAS-Direktorin warnt aber davor, eine ganze Generation schlecht zu reden. Schließlich seien die Schüler auch sehr engagiert, zum Beispiel in Jugendorganisationen oder Start-Ups. Es komme eben immer darauf an, unter welchem Blickwinkel man die Schüler betrachte.

Die Diagnose einer Schulphobie müsse man einem Fachmann überlassen. Wenn ein Klassenlehrer feststellt, dass ein Schüler nicht zur Schule kommt, dann sei es wichtig, dass er reagiert. Die zuständigen Dienste müssen dann den Kontakt mit dem Schüler und den Eltern suchen und klären, um welches Problem es sich handelt. Dann können auch entsprechende Maßnahmen getroffen werden, z.B. dass der Schüler zeitweise alleine arbeiten darf, wenn er sich in der Klasse nicht wohlfühlt. In der Begleitung könne dann ein Psychologe herausfinden, ob es sich tatsächlich um eine Schulphobie handelt oder nicht.

 

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