Welche Bedeutung hat der Finanzplatz für die Luxemburger Wirtschaft? Zum Beispiel was Wirtschaftsleistung und Arbeitsplätze angeht.

Tom Theobald: “Der Finanzplatz steht für rund ein Viertel des luxemburgischen Bruttoinlandsprodukts und macht ungefähr 75% der Körperschaftssteuer aus. Hinzu kommen die Steuern, die seine Angestellten bezahlen. Der Finanzplatz steht für knapp unter 70.000 Arbeitsplätze. Eine Studie hat ergeben, dass jeder Arbeitsplatz im Finanzsektor 1,1 Stellen in der restlichen Wirtschaft schafft. Diese mitgerechnet, haben 135.000 Menschen mehr oder weniger eng mit dem Finanzplatz zu tun. Man kann sagen, dass der Finanzplatz der Motor unserer Wirtschaft und unseres Wohlstandes in Luxemburg ist.”

Manche Kritiker halten das für eine Anormalie und eine Gefahr.

“Dazu muss man in Betracht ziehen, welche Aktivitäten auf dem Luxemburger Finanzplatz stattfinden. Wir sprechen hier nicht von Investmentbanking oder Trading. Unsere Fondsindustrie nimmt das Geld von Investoren weltweit und investiert es zum Beispiel in Obligationen oder in Aktien von Unternehmen.

Wichtig ist aber auch, dass der Finanzplatz selber stark diversifiziert ist. Zum einen geografisch und was die Anlagekategorie angeht. Zum anderen haben wir weit gestreute Aktivitäten: Privatbanken, die das Vermögen reicher Kunden verwalten, Corporate Banking, das Finanzdienstleistungen an große Unternehmen weltweit anbietet und große Nichtlebensversicherungen und Lebensversicherungen.”

“Man kann den Finanzplatz auch nicht im Kontext von Luxemburg alleine betrachten. Wir sind ein europäischer Finanzplatz innerhalb des europäischen Binnenmarktes. Die Regeln werden in Brüssel gemacht und die Unternehmen wenden sich an Kunden innerhalb und außerhalb von Europa. Es wäre falsch, das Gewicht des Finanzplatzes einfach gegen das Bruttoinlandsprodukt des Landes aufzuwiegen.”

In den letzten 15 Jahren hat sich viel verändert. Das Bankgeheimnis wurde abgeschafft und BEPS Maßnahmen wurden umgesetzt (Schließung von Steuerschlupflöchern). Hat Luxemburg damit seine Vorteile verloren?

“Nein. Das Bankgeheimnis ist bereits seit 15 Jahren kein Vorteil mehr. Seit Jahren gibt es global eine Tendenz zu mehr Transparenz. Wir haben jetzt global gleiche Wettbewerbsbedingungen (“global level playing field”). Das Bankgeheimnis war überhaupt nur für die Privatbanken von Relevanz. Und dort sind die Aktiva seit der Abschaffung mehr als verdoppelt. Es hatte also keinen negativen Impakt, ganz im Gegenteil.”

“Die Art der Klientel hat sich allerdings verändert. Heute haben wir fast keine Kunden mehr aus den Nachbarländern, die ein relativ begrenztes Vermögen hatten. Heute haben wir eine internationaler Klientel mit einem viel größeren Vermögen. Das sind Unternehmer, die Firmen überall in Europa haben, mit Kindern, die in der ganzen Welt studieren.

Bei BEBS geht es nicht nur um die Finanzbranche, sondern um die Steuern internationaler Konzerne. Das betrifft natürlich auch Banken, wenn sie groß genug sind. Für Luxemburg ist es wichtig, dass wir in Europa und auf der ganzen Welt ein Level playing field haben. Wenn die Regeln überall die gleichen sind, dann hat das keine negativen Folgen für Luxemburg.”

Vor welchen Herausforderungen steht der Luxemburger Finanzplatz? Woran  muss gearbeitet werden? Worauf blicken Sie mit Angst?

“Mit Angst sollte man auf nichts blicken. Unser Finanzplatz hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Aber wir müssen immer am Ball bleiben und dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Wir haben zum einen Wettbewerber innerhalb und außerhalb der EU. Wir müssen also den Rechtsrahmen wettbewerbsfähig halten und die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, damit internationale Akteure sich in Luxemburg zu Hause fühlen und das Land auswählen, um ihre Aktivitäten in der EU zu tätigen.”

“Eine Herausforderung (die wir nicht alleine haben) ist es, Talente zu finden. Ganz besonders, weil unser Finanzplatz in den letzten Jahren qualitativ und quantitativ sehr stark gewachsen ist. Wir brauchen immer mehr Leute und wir brauchen Menschen mit einer anderen Expertise als noch vor 10 oder 15 Jahren.”

Sie reden von Software und KI?

“Das kommt dazu, aber ich rede nicht nur davon. Ein großer Teil unserer Fondsindustrie sind sogenannte UCITS. Das sind Investmentfonds, die von Banken und Versicherern an Einzelkunden verkauft werden. Ein anderer Teil aber, der in den letzten Jahren ein starkes Wachstum erfahren hat, sind Alternative Fonds (d.h. Risikokapitalfonds, Infrastrukturfonds, Immobilienfonds…). Dafür braucht man ein anderes Fachwissen.”

“Dazu kommt, dass die Regulierung in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut wurde. Um sie in den Banken zu verfolgen und umzusetzen, braucht es dementsprechend die richtigen Mitarbeiter. Die Nachfrage wächst also und sie verändert sich. Einige Profile man heute weniger, andere dafür umso mehr.”

Finden sich diese Experten noch in Luxemburg und wie weit muss man gehen, um danach zu suchen?

“Das ist unterschiedlich, aber klar ist, dass Luxemburg schon lange nicht mehr ausreicht. Deshalb arbeiten in Luxemburg so viele Grenzgänger und sehr viele davon auf dem Finanzplatz. Heute muss man aber weiter suchen gehen. Wir sind aber nicht die Einzigen und wir stehen im Wettbewerb mit anderen. Darum ist es wichtig, dass Luxemburg für diese Profile attraktiv bleibt. Das soll aber nicht heißen, dass Luxemburg und die Großregion nicht wichtig bleibt. Wir müssen auch hier in Luxemburg Talente ausbauen. Sei es über die Uni oder durch upskilling und reskilling.” (Weiterqualifizierung und Umschulung, a.d.Red.) Wir müssen an allen Fronten arbeiten, um die Leute zu finden, die der Sektor braucht.”

Bedeutet das, dass man heute, um im Finanzsektor zu arbeiten, einen PhD-Abschluss braucht und ein Bachelor-Abschluss nicht mehr ausreicht?

“Der Finanzsektor ist auch sehr diversifiziert, was die Arbeitsstellen angeht. Es stimmt schon, dass der Finanzsektor mit die höchsten Ansprüche an das Ausbildungsniveau hat. Im Finanzsektor ist ein Master-Abschluss sicherlich der Durchschnitt. Es wird immer mehr verlangt.

Um eine Bank oder ein Fondsunternehmen zu verwalten, braucht man aber von allem. Von den Verwaltungs- bis zum Kantinenpersonal. Man darf nicht vergessen, dass der Finanzsektor auch viele Stellen schafft, die sich nicht an Finanzexperten richten.”

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